Das ist ja immer so eine Sache mit der Toleranz. Wenn es darum geht diese zu erwarten sind wir im Regelfall ganz weit vorn mit dabei aber was ist eigentlich mit der eigenen Toleranzfähigkeit?
Nun ist es so, dass ich – es wird bisher kaum aufgefallen sein – eine fette Frau bin und als solche beruflich wie auch privat oft, viel und gern mit Menschen aller Körpermaße zu tun habe. Dabei gibt es ein Phänomen zu beobachten, welches ich mal so nennen möchte: Die Fettenwut.
Da wird sich, gerne auch lautstark, echauffiert über enge Stühle und Menschen die unhöflicherweise im Weg stehen obwohl diese doch genau sehen, dass man zu dick sei um dort durchzukommen. Da werden Kellner angemault weil die Stühle zu klein sind und auf die Stadt geschimpft, weil der Baum vor meiner Praxis auf den Gehweg wurzelt und das ja nun nicht mehr so gut begehbar ist – wo gehen doch eh so anstrengend ist und warum zur Hölle habe ich eigentlich nicht direkt vor der Praxis einen Parkplatz?! Diese 100m Gehweg seien ja wohl eine Zumutung. Von wegen Fettenfeundlich – Pah!
Und dann besitzen Ärzte die Frechheit zu Fragen zu stellen und andere Menschen gucken im Schwimmbad, diese Körpernazis! Frechheit! Warum hat Zara keine Fettenmode, C&A nur bis Größe sonst was und mit welchem Recht denkt eigentlich nie jemand an die armen, unbeweglichen Dicken? Da macht man keinen Extraplatz und stellt dumme Fragen obwohl man doch genau sieht, dass man übergewichtig ist. Natürlich geht es da alles nicht so gut und natürlich braucht man mehr Hilfe und natürlich kann man da echt mal ein wenig Rücksicht drauf nehmen! Natürlich!
Natürlich für wen?
Ich weiß nicht wie das mit anderen „Randgruppen“ so ist (54% aller Deutschen sind übergewichtig – eine verdämmt große Randgruppe wenn ihr mich fragt) aber bei Übergewichtigen beobachte ich es unangenehm häufig, dass wie selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass andere doch bitte Toleranz üben sollen gegenüber des eigenen Seins während man selbst außer einer Erwarrungshaltung nichts liefert und im Gegenzug auch noch schlanke Menschen ob ihrer Figur beleidigt. Da sind es plötzlich Hungerhaken, „zu faul zum essen“, Gräten und sonstiger Dummfug.
Toleranz – Soweit ja eine ganz hübsche Theorie aber was ist denn Toleranz und warum funktioniert das alles nicht so recht bisweilen?
Ich glaube, ein Hauptproblem liegt darin begründet, dass stets erwartet, selten aber selbst für gute Bedingungen gesorgt wird.
Ein Beispiel:
Wenn ich ein Restaurant betrete und sehe, dass ich mir für die Stühle mindestens ein Bein amputieren müsste, dann gehe ich zum Kellner, lächle ihn an und sage: „Man sieht es nicht sofort aaaaaber ich bin etwas breiter als ihr Stuhl, haben Sie noch einen anderen?“ Und wenn ich irgendwo nicht vorbei komme, dann ist motzen und schmollen noch nie auch nur im Ansatz so wirkungsvoll gewesen wie ein Lächeln, Antippen und der Satz „Nicht dass ich zu dick wäre aber – mögen Sie mich und meinen Po hier durch lassen?“.
Ich habe noch nie einen bösen Blick, selten einen dummen Kommentar und auch sonst keine Anfeindungen geerntet. Und bekam, so vorhanden, immer einen anderen Stuhl. Was also ist so schwer daran mit einem Lächeln auf seine eigenen Besürfnisse aufmerksam zu machen? Warum gibt es so viel Unmut wenn die Situation es hergibt, dass man als dicker Mensch in einem unkonfortablen Moment hängt und was hat motzen mit Toleranz zu tun?
Nichts.
Wenn ich nach solchen Situationen Menschen meiner Umgebung frage, was denn los sei und ob das denn so unhöflich sein musste, dann raunt mir nur zu oft ein „Ja, sonst kapieren ‚Die‘ es ja nie.“ – Die?! Die was? Die Anderen? Die Hungehaken? Die, die nicht den ganzen Tag damit beschäftigt sind Dir deinen dicken Arsch nachzutragen?
Ach! Die!
Was ist in solchen Momenten so schwer an Höflichkeit? Auf die Frage gibt es oft zwei Antworten. Die erste sagt „Ich weiß es doch auch nicht.“ Die zweite sagt „Das macht mich einfach so wütend.“ Und wenn ich Nachfrage was wütend macht, dann ist die Antwort „Dass niemand aufpasst und es für alle so selbstverständlich ist.“
Ich kenne das Gefühl von damals noch sehr gut. Diese Fettenwut. Diese Wut auf die Welt und alle in ihr, weil man das Gefühl hat sich ständig erklären zu müssen, immer um Entschuldigung bitten zu müssen, die Welt einfach zu klein ist für den eigenen dicken Hintern und man einfach keine Lust mehr hat manchmal, weil man vll schon so oft an sich selbst scheiterte. Alles ist mühsamer, beobachteter, manchmal schmerzhafter und man selbst ist so… So wütend auf… Auf…
…sich selbst. Denn das ist es, worum es viel zu oft geht. Es geht nicht darum, dass der Kellner nicht sofort los flitzt und das Restaurant umbaut, es geht nicht um die verdammte deutsche Bahn, die die Gänge viel zu schmal baut, bestimmt mit purer Absicht, es geht nicht um BMW die es NIE schaffen Gurte zu fertigen die lang genug sind (Das mit den 54% der Deutschen sagte ich schon oder? BMW? Hörst Du? Vierundfünfzig!!), es geht nicht um ImWegSteher und nicht um Blicke. Es geht um Dich! Und Mich!
Es geht um die Wut über die eigene Unzulänglichkeit.
Ich kenne das noch gut von früher und fühle es noch heute manchmal. Die Frustration darüber, dass man sich in eine Situation manövriert hat, für die man ständig gerade stehen muss. Das nervt und das tut weh und die Einsicht über das eigene Versagen bisweilen kann einen tierisch ankotzen. Und weil es so schwer ist sich selbst zu vergeben, dass man ab und an ein Vollidiot ist oder dass man sicher unsicher ist in manchen Situationen, verhält man sich wie ein Tier in Bedrängnis. Man greift an. ‚Die Anderen‘ die alle keine Ahnung haben sollen nun als Ventil dienen für dieses Gefühl, das in der Magengrube wohnt und so schwer zu beschreiben ist. Diese Mischung aus Angst, Wut, Schuld und Sehnsucht nach mehr Leichtigkeit. Und dann mischt sich das alles zu einem Brei und blubbert an die Oberfläche in Form von Gesichtern die zur Faust geballt werden, in der Annahme, Angriff sei die beste Verteidigung und in einem Verhalten, für das ich mich heute – wenn ich an mein Damals-Ich denke, sehr schäme. Für dass ich mich beim beobachten fremdschäme. Ein lautes, unhöfliches, ungerechtes und obszönes Verhalten. Eines, dass ich viel zu oft bei dicken Menschen sehe.
Dabei weiß ich heute, wenn ich das beobachte, „Du willst so gar nicht sein stimmts? Du willst nur eigentlich unsichtbar sein und Du möchtest eigentlich sagen, dass Du Angst vor Ablehnung hast und traust Dich nicht um Nachsicht zu bitten.“ Und dann bellst Du, statt zu bitten.
Aus Erfahrung kann ich sagen, dass Toleranz nichts ist, was einem einseitig entgegen gebracht wird. Toleranz ist nicht, was man erwarten kann. Toleranz ist das, was Du Dir erst einmal selbst gegenüber haben musst.
Du bist wie Du bist und wenn Du damit ein Problem hast dann darfst Du das ändern! Das ist doch eine gute Nachricht. Und bis Du da bist, sei Tolerant Dir selbst gegenüber. Es ist nicht die Aufgabe anderer die Ausmaße Deiner Hüften einzuschätzen und auch für Dich mitdenken muss niemand. Es ist schlicht Deine Aufgabe. Niemand kann sehen wie es Dir geht, hinten hat keiner Augen und auch dass Du schon XY Kilo abgenommen hast steht nicht in Leuchtbuchstaben auf Deiner Stirn. Die meisten Menschen die ich im Alltag erlebe machen sich im positivsten Sinne keine Gedanken um Deine oder meine Belange denn sie haben eigenes im Kopf zu bewältigen, zu überlegen und zu erleben. Also mache Deine Unzulänglichkeit nicht zu dem Problem anderer Menschen – so wie diese ihre nicht zu Deinen machen sollten.
Schimpfe nicht, lächle! Auch wenn es manchmal so so so schwer fällt. Ich weiß! Auch in meinen Kopf kriecht manchmal noch, wenn auch heute nur sehr sehr selten, ein echt hässliches Monster aus seinem Loch und wirft mit leeren Pizzakartons um sich. Ich höre es, ich sehe es und dann lächle ich. – Und es schmollt.
Und kommuniziere. Erst wenn Du anfängst mit Dir „normal“ umzugehen, können es auch andere tun. Wenn Dich wohl fühlst so wie Du bist, dann benimm Dich auch so. Sei offen zu Dir und anderen. Kommuniziere Deine Wünsche. Egal ob nun auf Stühle, Platz, Hilfe oder sonst was bezogen. Nur kommunizierenden Menschen kann geholfen werden.
Toleranz beginnt bei Dir und ja es ist nicht leicht sich einzugestehen dass man das Problem oder die unangenehme Situation vll selbst geschaffen hat aber es kann nur besser werden, wenn man sich erlaubt zu sein. Dick zu sein, unangenehm berührt zu sein, unsicher zu sein und das in Worte zu hüllen die andere verstehen. Oder eben zu lächeln statt zu beißen wenn die Worte fehlen.
Denn glaubt mir wenn ich versichere: Ein Lächeln öffnet so viel mehr Herzen, Gesichter und Türen als jeder Motzanfall es jemals könnte. Auch Euer Herz übrigens.
Die Toleranz der Anderen beginnt dort, wo Du sie mit in Deinen Tanzbereich holst denn: weißt Du denn was ihnen gerade auf der Seele liegt?
Lächle! Auch wenn es sonst vll niemand tut, denn Toleranz ist ansteckend und es fühlt sich so gut an nicht ständig angepisst zu sein!!
Mit einem Lächeln – aus dem ICE Nicole