Mittagsgedanken.

Dicke machen einen aber auch echt sauer.

Ich wohne im schönen Hamburg Eppendorf.
Es ist toll hier. Hübsch und an manchen Stellen so lächerlich teuer, dass man nur noch den Kopf schütteln kann aber es gibt auch Ecken, in denen man einfach gut sein kann.

Dennoch begegnet es mir nirgends so oft wie hier in diesem Stadtteil, dass ich Menschen durch meine bloße Anwesenheit zur Weißglut treibe.
Und das beobachte ich recht häufig. Nicht nur bei mir, auch bei meinen Coachees oder anderen übergewichtigen Menschen.

Die Tatsache, ein fetter Mensch zu sein, regt andere Menschen maßlos auf.
So weit, so klar.
Nur…
…warum?

Wenn ich auf einer Bank sitze bei uns um die Ecke.
Wohl gemerkt, das sind Bänke auf denen locker 10 Menschen sitzen können, also keine klassischen Parkbänke und dort, mit Kopfhörern auf den Ohren Musik höre, während ich Pause mache, dann begegnet es mir ziemlich häufig, dass ich allein dadurch bereits mächtig aufzuregen scheine.

Gut, ich bin eine fette Frau, ich verstecke mich nicht, ich stehe auf Kleidung die nicht alles verhüllt und verdeckt und ich trage mein Haar in der liebevollen Farbe: Porno-Blond. Aber ansonsten bin ich weder laut, noch stinke ich und ich bewerfe auch niemanden mit Essen.
Was also nervt denn so?

Schauen wir uns den Typ Mensch an, der sich am meisten über mich Echauffiert, so sind es überwiegend Frauen, fortgeschrittenen Alters, selbst sehr sehr dünn und irgendwie sehr angespannt wirkend.
Das geht dann so weit, dass sie an mir vorbei gehen und sich dazu hinreißen lassen, hörbar „das gibt’s doch gar nicht“ und „so eine Frechheit“ bis hin zu „So was dürfte es nicht geben“ oder gerne auch „so was hat es damals nicht gegeben…“ murmeln.
Wobei mein Favorit noch immer: „Also! ALSO! Das ist ja UN-VER-SCHÄM-T!“ ist.

Was genau ist unverschämt?
Dass ich so dick bin und mich trotzdem nicht verstecke?
Oder dass ich allen Anschein nach kein Problem damit habe groß, fett und präsent zu sein?
Dass ich die Frechheit besitze zu essen obwohl ich doch schon so dick bin?
Dass ich mit meiner augenscheinlichen „undisziplinierten“ Art hier in aller Öffentlichkeit Musik höre?

Bei all den Fragen hilft nur eines: Fragen.
Also tue ich das auch.
Denn wenn man mich anspricht, finde ich es unhöflich nicht zu antworten.
Und so frage ich häuft, sehr nett und mit einem Lächeln: „Was regt Sie an mir denn so auf? Ich mag vielleicht so aussehen aber ich esse Ihnen nichts weg…“

Die Reaktionen sind unterschiedlich. Meist entgeistert.
„Oh Gott, es kann sprechen…“
Oder ganz stumm und dafür nun schneller gehend. Kopfschüttelnd. Abwinkend. Schnaubend.

Aber ein paar Mal kam es vor, dass ich Antwort bekam. Und dann sogar oft ganz nett.
„Was sitzen Sie da? Sie sollten beim Sport sein! Sehen Sie mich an! Ich esse kaum was und bin sehr diszipliniert! Jeden Tag! Und Sie…?“

Ich? Ich esse und nehme ab.
Ich bewege mich viel und sitze nun trotzdem hier.
Ich…
…rege auf, weil bei meinem Anblick in den Köpfen anderer viel passiert.

Bei allem was einem entgegen gebracht wird darf man nicht vergessen, dass hinter jedem Gedanken, jeder Handlung, jeder noch so unfreundlichen Ansprache ein Mensch mit einer Geschichte steckt.
Und manchmal ist es ganz banal:
„Wenn ich mich den ganzen Tag so sehr anstrenge um schlank zu bleiben, warum darf die dort dann so fett und trotzdem augenscheinlich gut gelaunt – evtl. sogar glücklich – sein? Das ist nicht fair!“

Nun mag es einige geben, die über diesen Gedanken grinsen aber genau das habe ich mehrfach, so oder so ähnlich, schon als Information bekommen. Via Mail, in meinem Blog hier oder ganz persönlich auf der Straße.
Dabei war es mir viele Jahre lang einfach schlicht nicht verständig, warum man sich über mich Echauffiert, wo ich doch, abgesehen vom fett sein, nichts tue.
Und ich mache Sport.

Ich ernähre mich sehr ausgewogen.

Ich nehme ab.

Aaaaaaaaaaaaaaaaaber das sieht man nicht.
Ich trage kein Schild auf der Stirn auf dem steht: Achtung, fette Frau auf dem Weg zum dünner werden. Work in progress.
Ich bin zunächst einmal einfach nur dick.
Und damit rege ich Menschen manchmal auf.
Weil man selbst vielleicht Angst davor hat auch „so“ zu werden. Weil man seine Unzulänglichkeit auf jemand anderen, in diesem Falle mich, überträgt oder weil man es schlicht zum kotzen findet, dass die Fette da ein Recht auf Existenz hat, wo ich doch das Gefühl habe schlank und diszipliniert zu sein (und sein zu müssen) sei das einzig Wahre – und meine Legitimation auf diesem Planeten.
Ich weiß nicht und möchte mir dazu auch kein Urteil erlauben, ob die Tatsche, dass Menschen, die mir mit viel Wut begegnen meist auch sehr verbittert wirken und aussehen, direkt oder indirekt in einem Zusammenhang steht aber es fällt zumindest auf.

Lustig eigentlich. Möchte man doch meinen es sei vollkommen egal wie ich bin und wie ich aussehe. Immerhin belästige ich ja niemanden damit.

Und in einer idealen Welt wäre das vielleicht auch so.
Denn zunächst darf es doch bitte jeden erst einmal scheiß egal sein ob ich zu dick bin oder nicht solange ich nicht auf seinem Schoß sitze oder ihm das Essen vom Teller weg esse.
Und dennoch fühlen sich Menschen allein durch die Anwesenheit eines dicken Menschen belästigt. Witzig. Verstörend und manchmal sehr traurig.
Ich befürchte, dass die eigene Welt sehr klein sein muss, wenn mich allein die Tatsache der Existenz von Menschen, die nicht mir oder meinem Idealbild entsprechen, derart belästigt.

Ich weiß nicht genau was diese „Wut auf Fette“ so anheizt aber ich habe mich schon vor langer Zeit dazu entschlossen, es mit einem Lächeln und manchmal netten Winken zu quittieren und mir – genau so wie man es mit mir handhabt – es nicht „anzuziehen“.

Denn am Ende ist es doch so:
Du hast ein Problem damit, dass ich in Deinen Augen nicht passe?
Okay. Wie wir in dem Satz schon festgestellt haben hast Du damit ein Problem. Du.
Nicht ich. Drum erlaube ich mir das zu ignorieren denn es ist nicht meine Aufgabe – und im übrigens nicht Dein Recht – Deine Probleme zu meinen werden zu lassen.

Und wenn man die Kirche mal im Dorf lassen möchte so sei erwähnt, dass es im Grunde niemanden etwas angeht ob ich diszipliniert bin oder nicht, oh ich Sport mache oder nicht oder ob ich mich den lieben langen Tag von Sahnetorte Ernähre oder nicht.
Und selbst wenn ich Übergewichtig sein wollen würde, wäre das mein Bier.

Ich persönlich möchte einfach sein. Und sein dürfen.

Ich bin eine fette Frau und ich nehme einen bestimmten Raum ein.
Und dieser Raum steht mir sogar zu. Ich bin einfach da.

Ob das anderen nun passt oder irgendwo platzt ein Zuckersack.
Der Deal: Ich lasse auch jeden anderen leben wie er oder sie es für richtig hält.
Und wenn nicht, dann darf man auch mir verbal auf die Fresse hauen.

Ich will keine Toleranz, ich will Normalität.
Oder Egalität?
Hmmm…
Ob nun fett, groß, klein, hässlich, blond, behindert oder lila hin oder her.
Dass ich an meinem Gewicht etwas ändere, das ist vollkommen unabhängig davon…

So. Ich sitze jetzt weiter in meiner Mittagspause auf dieser Bank hier.
In der Sonne.
Ganz schamlos.
Ganz dick.
Ganz blond.
Ganz ich.

Nicole